13’000 Kilometer auf einem Frachter zu verbringen, bedeutet vor allem eins: sich selbst wieder näher zu kommen. Was man auf einer 23 Tage dauernden Überfahrt so alles tun kann.
Für den Fall der Langeweile haben wir viele Bücher und Filme eingepackt. Nach zwei Dritteln der Schiffsreise habe ich gerade mal einen Film geschaut und zwei Bücher gelesen. Viel mehr Zeit verbringe ich auf Deck mit In-die-Welt-gucken und Staunen. Egal ob im Hafen oder am achten Tag auf offener See. Das Wetter, der Ausblick, die Farben ändern laufend. Ich habe viel Zeit für mich und die Welt, meine Gedanken wandern frei, und ich fühle einen Frieden in mir wie schon lange nicht mehr.
Auch der Nachthimmel überrascht mich stets mit neuen Eindrücken, und die Crew mit ihrem nautischen Wissen. Trotz aller modernen Hilfsmittel, die den Seeleuten heute zur Verfügung stehen, ist das Wissen über den Umgang mit Karte, Kompass und Sextant zur Orientierung anhand der Gestirne noch stets präsent. Für mich, da ich schon immer ein Faible für Karten und Sterne hatte, tut sich ein kleines Paradies auf. Der Erste Offizier zeigt mir, wie man den Sextanten anwendet, und der Zweite Offizier schenkt mir eine alte Seekarte – ich bin begeistert! Ich rede mit der Crew über ihren Beruf und das Leben, lerne viel über die Seefahrt von früher bis heute und bin fasziniert von der Seemannssprache. Für jedes Ding und für jeden Handgriff gibt es einen eigenen Begriff oder Ausdruck; es kommt mir vor, als sei die Sprache von einem anderen Planeten.
Fast jeden Morgen wache ich früh auf und gehe nach draussen, um den Sonnenaufgang zu erleben. Ich mag den Moment, wo das Dunkelblau der Nacht langsam verblasst, während noch die letzten Sterne blinken, und ebenso den stillen Moment, wo Himmel und Meer eine fast identische Farbe annehmen, bevor die Sonne aufsteigt und ein neuer Tag anbricht. Sobald mich der wachhabende Offizier auf der Brücke erblickt, setzt er Teewasser auf. Er freut sich immer auf eine kleine Unterhaltung nach den dunklen Stunden seiner Wache. Ich bin in den ersten Minuten noch nicht so gesprächig, freue mich aber nicht minder über dieses kleine Morgenritual und den wärmenden Tee.
Kaum im ersten Hafen von Südamerika angekommen, vermisse ich bereits das sanfte Hin-und-her-Wiegen des Schiffes. Mich ärgert der Lärm, die Hitze, die Hektik. Ich bin froh, als wir wieder auslaufen und an Bord der gewohnte Rhythmus und die Stille zurückkehren. Ich schreibe meine Gedanken auf, und ich schreibe Briefe. Briefe, die ich dann in Buenos Aires per Post verschicken werde. Das fühlt sich richtig gut an. Daran, dass sich in meinem Email-Account wohl an die 300 Nachrichten tummeln, mag ich lieber nicht denken. Im Hafen von Paranaguá gibt’s Stau. Wir liegen weit draussen für zwei Tage vor Anker, bevor wir einlaufen dürfen. Mich stört das nicht im Geringsten. Da ich bereits traurig bin, dass die Überfahrt in ein paar Tagen zu Ende ist, begrüsse ich die Verzögerung sogar. Der Liegestuhl ist bequem, der Erste Offizier fängt Fische, der Azubi zeigt mir ein paar Seemannsknoten, der Kapitän lädt abends zum Bier ein und mit den Filipinos singen wir Karaoke.
Beinahe alle Reparaturen und Unterhaltsarbeiten auf dem Schiff können von der Besatzung ausgeführt werden. Es wird geschweisst, gereinigt, gelötet, gesägt, gehämmert, entrostet, gestrichen, gewachst, gefettet, gespleisst. Maschineningenieure, Elektriker und Schiffsmechaniker gehören ebenso zur Mannschaft wie die Matrosen, der Koch oder der Steward.
Wenige Tage später biegen wir in den Rio de la Plata ein. Schnell ändert die Farbe des Wassers von blau zu beige. Der Fluss bringt viel Schlamm in die Mündung, die Wassertiefe ist gering. Deshalb gibt es auch nur eine einzige schmale Fahrrinne für die grossen Schiffe, und die Lotsen kommen für einen ganzen Tag an Bord. Schon von weitem sehen wir die Skyline von Buenos Aires. Wir sind aufgeregt, für einmal auf dem Wasserweg in dieser spannenden Stadt anzukommen. Just beim Einlaufen in den Hafen wagt sich noch die Sonne hervor und beschert uns eine spektakuläre Abendstimmung.
Nach einer letzten Übernachtung auf der Paranagua Express geht es ans Abschiednehmen von der Crew. Das fällt nicht leicht, denn wir haben viel zusammen gelacht, und mit dem einen oder andern hatte ich auch sehr persönliche Gespräche. Doch der Hafenagent wartet, und die Arbeiten auf dem Schiff auch. Also ein Handschlag hier, ein letzter Gruss da – und los geht’s zum Zoll. Obwohl wir fast eine Stunde auf unseren Einreisestempel warten müssen, ehe wir es uns versehen, sitzen wir im Taxi und finden uns in den belebten Strassen von Buenos Aires wieder. Meine Melancholie von eben vermischt sich mit der Aufregung, die mir vertrauten Ecken der Stadt und gleich auch meine Freunde wieder zu sehen. Und nach drei Wochen guter, aber mit der Zeit etwas langweiliger Kombüsenkost freuen wir uns auf die unvergleichlichen Antipasti beim besten Italiener der Stadt!
Manuela
Feb. 23, 2014
Wie schön du das alles geschrieben hast! Der Blick auf die wechselnden Farben des Meeres, die Sterne, der Sonnenaufgang, der innere Frieden … Danke für diese Lektüre.
Rafael
Feb. 24, 2014
Willkommen im Leben der „Seebären“. Deine Zeilen verraten, dass Du erlebt hast, was die Faszination des Lebens auf See ausmacht. Es ist diese einzigartige Magie, welche einen, dem Tango gleich, packt und nicht mehr los lässt. Viel Spass beim weiteren Erleben und Schreiben. Ich freue mich :-).
Jeannine
Feb. 25, 2014
Wow, wow, wow…..
Unglaublich, Gänsehaut bei deinen Zeilen… Und dabei ein bisschen das Gefühl zu haben , auch mittendrin auf dem Ocean zu sein…
Genau diese Stille und Ruhe, diesen frueden möcht ich auch mal erleben, deshalb;
Neuer Punkt auf ‚to do-Liste‘ = einmal übers Meer…..
Bin gespannt auf deine Erzählungen und freu mich auf ein Wiedersehen…. Jean und Co
Elke
Feb. 25, 2014
Auf einem Frachtschiff mitfahren, das steht schon lange auf meiner Liste. Danke für diesen virtuellen Vorgeschmack! 🙂 Jetzt hab‘ ich noch mehr Lust drauf. LG, Elke
Urs
Feb. 25, 2014
Ach, da kriege ich wieder Lust, selber an Bord zu gehen und übers Meer zu schippern. Schön blöd, dass ich morgen ins Büro muss und nicht auf See :-(.
Bianca
März 10, 2014
Was für eine tolle Erfahrung! Ich freue mich schon mehr zu lesen und hoffentlich dich bald zu sehen. Viele liebe Grüsse!
7 andere Reiseblogger als die üblichen Verdächtigen | Kristine Honig
Mai 20, 2014
[…] hatte das Blog kurz aus den Augen verloren, Paolas Gastbeitrag Mein Leben auf dem Frachtschiff rückte es mir wieder ins Bewusstsein. Dabei geht es auf dem Blog nicht um einen täglichen […]
Mandy // Movin'n'Groovin
Mai 21, 2014
Wow, das klingt traumhaft! Wie hast du diese Mitfahrt denn organisiert? Gibt’s das ganz „normal“ zu kaufen irgendwo? 🙂
Paola
Mai 21, 2014
Hoi Mandy, ja das gibt es, und zwar bei Globoship in Bern. Die haben eine grosse Auswahl an Routen, viel Erfahrung und können dich gut beraten. Viel Spass! Paola