Eigentlich wollten wir den Süden Argentiniens bereisen. Patagonien inklusive Feuerland, mit ein paar Abstechern nach Chile. Dann war da die Sache mit dem Mietwagen. Wir waren mit den Reisebuchungen spät dran, und in San Carlos de Bariloche, Argentinien, war das gewünschte Fahrzeug nicht mehr aufzutreiben. Es sollte etwas Geländegängiges sein, doch das ist in der Hauptreisesaison Mangelware. Nun gut, als ehemalige Reiseberaterin kommt man auf Ideen. Wir fanden das passende Auto in Puerto Montt, Chile. Sechs Busreisestunden entfernt von Bariloche, wo wir aus dem Flugzeug steigen. OK, das mit den sechs Stunden Busfahrt mag im Idealfall stimmen… Bei uns ist’s nicht ideal und eine Fahrzeit von eher zehn Stunden, in zwei Etappen und mit einer Übernachtung dazwischen. Aber wir kommen mit nur eineinhalb Stunden Verspätung bei der Fahrzeugvermietung an und können das Auto direkt von den Vorgängern übernehmen. Diese, ebenfalls Schweizer, treffen wir nämlich am Schalter. Sie haben einige gute Tipps für uns. Auch der junge Herr am Stand der Información Turística de Chile hat viele wertvolle Tipps und tolles Kartenmaterial. Ich bin hoch erfreut und dankbar – denn da wir kein Reisehandbuch zu Chile dabei haben, sind wir auf Informationen aller Art angewiesen. Mit etwas Wi-Fi hier und da und viel Herumfragen finden wir aber immer alles, was wir brauchen. Sogar Benzin, das unter der Hand verkauft wird – weil Tankstellen manchmal rar sind. Oder einen Minimercado, der uns etwas mehr als den Einkauf auf der Kreditkarte belastet und dafür Bargeld herausgibt – weil der einzige Bancomat im Umkreis von drei Fahrstunden kaputt ist.

Nun gut, als ehemalige Reiseberaterin kommt man auf Ideen.

Fährüberfahrten, das lernen wir auch schnell, bucht man mit Vorteil eine Woche im Voraus. Denn unser frisch gefasster Plan, via die Insel Chiloé südwärts zu fahren und dann Richtung Argentinien zu stechen, scheitert an der ausgebuchten Fähre. So kommt es, dass wir die Carretera Austral unter die Räder nehmen, die berühmt-berüchtigte Strasse Chiles, die hauptsächlich als Schotterpiste weit in den Süden des Landes führt. Woran es in den ersten Tagen nicht mangelt, ist Regen. Regen in rauen Mengen. Von den wunderschönen Vulkanenkegeln, die es in der Gegend zu bestaunen gibt, sehen wir erst mal nichts. Dafür sind die Millionen von Schlaglöchern in der Strasse etwas besser erkennbar, wenn sie mit Wasser gefüllt sind. Allerdings sieht man dann deren Tiefe nicht… Es schüttelt uns ab und zu gehörig durch. Mit der Zeit entwickeln wir aber ein gutes Gespür für die verschiedenen Schotterarten, und echte Rumpler passieren uns immer seltener. Die Piste ist anfangs von einem unglaublich grünen Wald gesäumt, fast wähnen wir uns in Neuseeland. Täglich entdecken wir wunderschöne Landschaften und Sehenswürdigkeiten entlang der Carretera, so dass wir nun eher auf der chilenischen Seite Patagoniens reisen – mit Abstechern nach Argentinien.

Woran es in den ersten Tagen nicht mangelt, ist Regen. Regen in rauen Mengen.

Bald wird auch das Wetter besser. So gut, dass wir für fünf Wochen kaum einen Tropfen Regen zu Gesicht bekommen und unsere dicken Pullis ungebraucht im Rucksack bleiben. Die markanten Berggipfel Cerro Torre und Fitz Roy bei El Chaltén bestaunen wir während dreier Tage wolkenlos – ein Anblick, auf den andere manchmal wochenlang warten. Wetterglück auch beim Kajakausflug auf dem Lago Buenos Aires und ebenso bei den grandiosen Gletschern, die ins Wasser kalben: in Chile in der Laguna San Rafael, wo die Eisberge ins Meer platschen; in Argentinien am Lago Argentino, wo gleich drei grosse Gletscherzungen in den tiefblauen See stossen. Allen voran der bekannte Perito Moreno Gletscher, der uns mit seiner rund 60 Meter hohen Eiswand vom ersten Moment an in seinen Bann zieht. Dieser lässt sich auch am einfachsten besuchen: im Nationalpark gibt es über einen ganzen Hang verteilt Aussichtspunkte, von wo aus man die Eisabbrüche beobachten kann. Schon am ersten Tag erleben wir spektakuläre Momente. Gegen Abend wenden wir uns frierend und hungrig, aber zufrieden ab. Da passiert es: ausgerechnet als wir uns mitten im Wald befinden, hören wir hinter uns ein lautes, nicht enden wollendes Getöse. Das einzige, das wir durch die Bäume knapp erkennen, ist eine gewaltige Wasserfontäne, deren Gischt im letzten Sonnenstrahl aufleuchtet. Wir ärgern uns masslos, nicht zwei Minuten länger ausgeharrt zu haben. Als wir dick angezogen und mit Snacks zurückkehren, sehen wir, dass dort, wo wir vorhin schon einen vermeintlich grossen Abbruch beobachten konnten, nun ein haushohes Loch in der Eiswand klafft. Wir bleiben, bis der Park schliesst; leider geschieht nicht mehr viel. Doch zwei Tage später sind wir erneut da und kommen voll auf unsere Kosten. Wir erleben so viele grosse Abbrüche, dass wir zum Teil gar nicht mehr wissen, wo wir hingucken sollen. Viele davon können wir sogar filmen. Überglücklich reisen wir weiter – wieder nach Chile.

Da passiert es: ausgerechnet als wir uns mitten im Wald befinden, hören wir hinter uns ein lautes, nicht enden wollendes Getöse.

Inzwischen hat die Landschaft geändert. Nicht nur in Argentinien, sondern auch in Chile, der generell feuchteren Seite der Anden, wird die Vegetation steppenhafter, je südlicher wir kommen. Die Bäume und Büsche spärlicher, kleiner, windgebeugter. Wir bekommen die zunehmende Windstärke beim Öffnen der Autotüre zu spüren: entweder kriegen wir sie kaum auf oder dann müssen wir sie höllisch gut festhalten, damit sie nicht vom Wind weggerissen wird. Unsere neuen Pässe zieren schon einige Stempel. Wenn wir am Schluss von Bariloche wieder abfliegen, werden wir auf unserer Patagonienreise zehn Mal die Grenze überquert haben. Fünf Mal von Argentinien nach Chile, fünf Mal von Chile nach Argentinien. Einen allerletzten Stempel gibt’s, wenn wir von Buenos Aires nach Hause fliegen. Soweit sind wir aber noch nicht. Erst mal haben wir noch etwas Süden vor uns.

Die Stadt, der See, die Berge und ich.
Von Weihnachten, Kühlhäusern und Pinguinen

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