Wenn es nicht regnet, ist es im Amazonas heiss. Sehr heiss. Feucht-heiss. Eigentlich mag ich das überhaupt nicht. Denn wo feucht-heiss, da Mücken. Die mögen mich sehr. Ich sie hingegen nicht. Ich wünsche jeder einzelnen den Tod. Warum nur tue ich mir das dann an und reise mitten ins Amazonasbecken?
Nun ja… es gibt da ein paar Gründe. Erstens: Irgendwann muss man da mal hin! Zweitens: Nach Kolumbien wollten wir eh schon länger. Drittens: Wir wollten endlich Hervé besuchen.
Hervé? Wer ist Hervé? Hervé Neukomm ist ein ehemaliger Globetrotter-Kollege und der liebenswürdige Verrückte, der vor einigen Jahren mit seinem Velo ganz Afrika und Südamerika durchquert, dann das Velo in ein Boot montiert hat und damit den Amazonas in seiner ganzen Länge hinuntergefahren ist. Wahnsinn. Schliesslich hat er sich etwas ausserhalb von Leticia niedergelassen – im südlichsten Zipfel von Kolumbien, im Grenzgebiet zu Peru und Brasilien –, engagiert sich für ein nachhaltiges Leben im und vom Amazonas-Urwald und betreibt eine kleine Lodge. Ihr erratet es bereits, es ist die Hábitat Sur Reserva beim Km 16.
Wir haben uns das coolste «Zimmer» ausgewählt, das Baumhaus. Eigentlich ist es eher ein «Nichtzimmer», denn die Wände bestehen nur aus Mückennetzen. Das Nichtzimmer ist also ein einziges grosses Fenster ins Grüne hinaus. Es beschert uns eine grandiose Sicht und die unmittelbare Geräuschkulisse des Dschungels. Am Fusse des Baumes befinden sich die Freiluftdusche und das Klohäuschen. Die fünfzehn Meter hohe Treppenleiter in unser Heim flösst am Anfang Respekt ein, doch gewöhnen wir uns rasch an den Auf- und Abstieg, auch nachts.
Tagsüber, wenn die Sonne unerträglich heiss ins Baumhaus scheint, schaukeln wir in den Hängematten im «Salón». Auch dort schwitzen wir, aber das schattige, nach allen Seiten offene Rundhaus ist der luftigste Ort und mitten im Alltagsgeschehen. Heisst: Wir können den Arbeitern beim Arbeiten zugucken (hier körperlich arbeiten erscheint mir unvorstellbar – ich schwitze bereits, wenn ich nur den kleinen Finger bewege), unsere Mückenstiche mit Fenistil beruhigen, lesen, Spanisch lernen und der Köchin beim Kochen zugucken (Wir essen wunderbar gesund. Und sogar Ameisen!). Dazwischen ein Schwätzchen mit Hervé, seiner Partnerin Adriana oder anderen Gästen. Zum Beispiel mit Lina aus Bogotá, die wir dann später ebendort wiedersehen. Alleweil hechelt einer der Hunde heran, dreht sich einmal um sich selbst und flanscht sich dann mit einem lauten Schnaufer auf den – zur Umgebung wahrscheinlich vergleichsweise kühlen – Fliesenboden. Wir können’s ja verstehen…
Schliesslich raffen wir uns aber zur einen oder anderen Tour auf: Wir machen mehrere Dschungelwalks, eine wunderbare Bootsfahrt auf einem See (Wow! unendlich viele Vögel!) und einen dreitägigen Ausflug auf dem Rio Javarí, einem Zufluss des Amazonas, wo wir das Leben der Einheimischen kennenlernen, mit ihnen fischen, graue und rosa Flussdelfine beobachten und im Dschungel übernachten. In der Hängematte. Dschungelige Gruselgeschichten inbegriffen.
Schnell wird klar: im Amazonasbecken sind die Wasserwege die Verkehrs- und somit Lebensadern. Strassen gibt es eigentlich nur innerhalb der Siedlungen. Dementsprechend befinden sich die wichtigsten Läden direkt am Wasser. Die Mercados und Tankstellen sind schwimmende Häuser, denn der Wasserstand des Amazonas variiert je nach Jahreszeit und Niederschlag gehörig, um die zehn bis fünfzehn Meter. Pflanzen und Bäume haben sich daran angepasst, sie überleben sowohl unter Wasser wie auch an der Luft!
Zudem lernen wir, dass eigentlich alle drei Länder (Kolumbien, Peru, Brasilien) über Gesetze verfügen, die den illegalen Holzschlag verbieten. Dennoch wird in vielen Gebieten fröhlich gerodet, weil die lokalen Behörden oft machtlos sind gegen die skrupellosen Holzfirmen – oder korrupt. Wo Geld, da Mafia. Umso mehr sollten wir uns weiterhin für die Urwälder dieser Welt engagieren. Der Amazonas birgt eine Biodiversität sondergleichen und möglicherweise auch eine Fundgrube für bisher ungekannte Heilmittel.
Auf jeden Fall bin ich von Hervés Engagement für nachhaltiges Leben im Amazonas ebenso beeindruckt wie von seiner Bici-Boat-Reise – und vom Urwald ebenso.
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